Fritz Schalk
Sozialdemokrat, Gewerkschafter, Widerstandskämpfer
Eine Würdigung des Mutterstadter Sozialdemokraten Fritz Schalk wäre ohne die Einbeziehung seiner Ehefrau Anna und Sohn Fritz jun. unvollständig, verkörpern sie doch, für unsere Generation beispielhaft, eine im besten Sinne sozialdemokratische Familie alter Prägung. Ihre Geschichte ermahnt uns aber auch, daß es immer Menschen gibt, die für ihre politische Überzeugung eintreten und kämpfen, obwohl sie dafür um ihr persönliches Leben fürchten und soziale und wirtschaftliche Schwierigkeiten ertragen müssen.
Fritz Schalk jun. schrieb, nach einem Gespräch und auf Anregung des Verfassers, Ende 1995 einige Erinnerungen über seine Eltern auf, über die damalige Zeit, wie er sie als Kind erlebt hat. Mutter und Sohn sind beide kurz hintereinander im Frühjahr dieses Jahres verstorben. Diese Erinnerungen sind deshalb auch eine Art Vermächtnis. Lassen wir den Sohn von Fritz Schalk erzählen:
„Es war 1929. Mein Vater nahm mich mit zu einer Maikundgebung im Landkreis. Ich war furchtbar aufgeregt. Als er nach seiner kämpferischen 1. Mai-Rede von der Bühne herunterkam, heulte ich vor Aufregung. Mein Vater, gelernter Schlosser, wechselte nach dem Ende des 1. Weltkieges zur Reichsbahn. 1923 trat er in den Abwehrkampf gegen die Franzosen ein. In der Pfalz streikten die Eisenbahner. Mein Vater wurde Geldkurier. Er schmuggelte die Löhne der Streikenden von Mannheim über den Rhein in die Pfalz. Hier wurden sie dann an die Streikenden verteilt. Die Franzosen nahmen ihn mehrmals fest und wiesen ihn dann aus. Mit meiner Mutter wurde er in der Villa Bosch in Heidelberg untergebracht. Seine Tätigkeit für die Streikenden setzte er jedoch fort.Zurückgekehrt nach Mutterstadt nahm er seine politischen Tätigkeit bei den Freien Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei wieder auf. 1933, bei den letzten freien Reichtagswahlen vor dem Umsturz, kandidierte er für die Pfalz-SPD. Kurz bevor er, als erster Mutterstadter Politiker,das Mandat als Abgeordneter im Deutschen Reichstag annehmen konnte, wurde die SPD von den neuen Machthabern verboten.
Ein Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung , der aus Russland vertrieben war, hatte nach seiner Flucht aus Berlin Unterschlupf in unserem Haus gefunden. Im Nachbarhaus bauten die Nazis ein Gerüst in Höhe des kleinen Küchenfensters auf, um von dort aus zu lauschen, was bei uns in der Wohnküche gesprochen wurde. Im Frühjahr 1933 drang dann ein Sturmkommando der SA in unser Haus ein und nahmen meinen Vater und seinen russischen Freund fest. Sie durchsuchten das Haus, ließen jedoch als echte Analphabeten die gesamte verbotene Literatur stehen. Die Verhafteten wurden zusammen mit weiteren poltischen Gefangenen in ein provisorisches KZ bei Neustadt gebracht. Ein Gendarm erzählte uns, daß der SA-Pöbel meinen Vater lynchen wollte. Mein Vater saß drei Monate im KZ und im Gefängnis in Frankenthal. Angeblich hatte er Hochverrat begangen; die Richter lehnten jedoch die Einleitung eines Verfahrens ab, da dafür keine Beweise vorhanden waren. In verschiedenen Firmen, in denen er dann arbeitete, drängten die Nazis immer wieder auf seine Entlassung, denn er machte weiterhin aus seiner sozialdemokatischen Gesinnung kein Hehl. So mußte er als Vertreter für Nähmaschinen seine Familie ernähren.
Dann nahm er vorsichtig die Kontakte zu seinen Genossen im Ausland wieder auf. In Straßburg hielt sich eine dieser Gruppen auf, darunter auch Friedrich Wilhelm Wagner. Über einen Rheinfischer in Kehl, der als unverdächtiger Kurier diente, liefen nun die Kontakte
In Zürich lebte ein Onkel von uns. Um ihn zu besuchen, beantragte mein Vater 1937 einen Reisepaß. Mit dem damaligen Bürgermeister von Mutterstadt hatte mein Vater scheinbar ein recht ordentliches Verhältnis. Der versicherte ihm, daß keine Paßbedenken vorliegen würden. Er händigte meinem Vater, in einem verschlossenen Umschlag, ein Antragsformular aus, das unter anderem folgende Formulierungen enthielt:
„Der Antragsteller ist nicht verdächtig, Steuerhinterziehung zu begehen; er ist nicht verdächtig, sich im Ausland gegen das Reich zu betätigen.“ Mein Vater ging dann zum Finanzamt, um sich dort die Unbedenklichkeitserklärung zu holen. Er erhielt den Vermerk und das Formular im geöffneten Umschlag zurück. Dabei sah er, daß der scheinbar so freundliche Bürgermeister im zweiten Absatz das „nicht“ gestrichen hatte, also“ er ist verdächtig“. Vater ging trotzdem zum Polizeipräsidium und legte das Formular vor. Der Beamte sah die Genehmigung des Finanzamtes und genehmigte den Paß. Vater und ich, damals ein Bub von 12 Jahren, fuhren dann mit einem Kleinmotorad in die Schweiz.Schon in Basel zeigte sich, daß der Bürgermeister recht gehabt hatte: Im Büro der Sozialistischen Partei in der Stadt fand ein erstes Treffen mit emigrierten Genossen statt. Das wiederholte sich dann mehrmals in Zürich. Es war eine abenteuerliche Reise.
Der 8. November 1937 war ein grauer Herbsttag. Gegen 10 Uhr kam ein sehr bedrückter Gendarm zu uns. Er sagte meiner Mutter: Sie müssen sofort in die Stadt kommen, ihr Mann ist verunglückt. Er sagte nicht, wo sich mein Vater befand. Mit dem Rad fuhr ich ihm nach und er sagte zu mir: Er liegt im Leichenhaus auf dem Friedhof. Mein Vater war mit dem Motorrad auf einen LKW aufgeprallt und dabei tödlich verunglückt.
Es kam zum Schadensersatzprozeß. Die Nazis waren unerbittlich über den Tod hinaus. Der gegnerische Anwalt behauptete, mein Vater habe durch seine staatsfeindliche Haltung sein Leben verwirkt und deshalb bestehe kein Anspruch auf Entschädigung. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Meine Mutter erhielt eine Kapitalentschädigung, die aber bei der Währungsreform fast völlig untergegangen ist. Daneben erhielt sie von der Rentenversicherung eine kombinierte Witwen- und Waisenrente von damals 55,90 RM. Es war ein billiger Preis für das Leben eines hochintelligenten, charmanten Mannes, eines liebevollen Familienvaters.“
Soweit auszugsweise einige Erinnerungen von Fritz Schalk jun. an seinen Vater.Fritz Schalk, 1899 geboren und von frühester Jugend an von der Idee des demokratischen Sozialismus überzeugt, hatte eine große Karriere als Gewerkschafter und Politiker vor sich; die Diktatur des 3. Reiches verhinderte 1933 diesen Weg leider brutal.
Seine Ehefrau Anna geb. Stieber, eine Zeitzeugin dieses Jahrhunderts mit all den politischen und sozialen Veränderungen und Ereignissen, engagierte sich ebenfalls schon als junge Frau in der SPD und konnte besonders nach dem Kriege in der Zeit des Wiederaufbaues für die SPD-Fraktion im Gemeinderat in vielen Angelegenheiten des alltäglichen Lebens den Mutterstadter Bürgern helfen.
Sein Sohn Fritz, stark von der erlebten Verfolgung zur NS-Zeit geprägt, setzte sich im Sinne seiner Eltern als DGB-Kreisvorsitzender, als Stadtratsmitglied in Ludwigshafen und als rheinland-pfälzischer SPD-Landtags-abgeordnter ebenfalls stets für die soziale Grundsicherung und eine gerechtere Verteilung des Einkommens für die arbeitenden Menschen ein. Daß sich Fritz Schalk jun. schon als junger Mann für Bürgerrechte einsetzte, verdeutlicht eine Aussage des ehemaligen Mutterstadter jüdischen Mitbürgers Werner Dellheim, der unter dem Eindruck der Reichsprogromnacht als 15jähriger nach England flüchten mußte: „ Als ich 1939 Deutschland verließ, hatte ich nur einen Freund, nämlich Fritz Schalk, der als Sohn eines geächteten Gewerkschafters, ebenso wie ich, die Auswirkungen der NS-Ideologie zu spüren bekam.